1 Schnelles Wachstum
Die moderne Nutzung der Windenergie in Deutschland ist noch ein Teenager.
Vor dem Hintergrund dieser sehr jungen Erfahrung mit dem Betrieb solcher Maschinen von alten und neuen Anlagen zu sprechen ist schon leicht irreführend, weil ja bisher nur eine verschwindend geringe Zahl von schon archaisch anmutenden Maschinen die allgemein erwartete Lebensdauer von 20 Jahren gerade jetzt erst erreicht haben.
2 Besondere Anforderungen
Gemessen am Alter der Maschinen zur Stromerzeugung steht die technische Nutzung des Werkstoffs, aus dem die Windflügel hergestellt sind, ja immerhin schon um ein dreifaches länger zur Verfügung.
Faserverstärkte Polymere wurden in militärischen Konstruktionen der 50-iger Jahre bekannt und eroberten sich später den Segelfugzeugbau, in dem Deutschland ebenso wie in der Windenergie, Weltmeister ist. Durch den nahezu ununterbrochenen Betrieb (immer dann, wenn der Wind weht) und die permanente Exposition in der freien Natur an den unterschiedlichsten Standorten ergeben sich nahe liegend besondere Anforderungen an das Alterungsverhalten dieses Werkstoffs.
Rotorblätter von Windenergieanlagen der Megawattklasse sind in erster Linie nach Steifigkeitskriterien ausdimensioniert. Der Nachweis der errechneten Wechselfestigkeitsgrenzen im realen Betrieb für eine Lebensdauer von 20 Jahren steht global noch aus.
3 Beobachtete Schäden
Als sog. kosmetische Schäden werden Mängel in der Oberflächenbeschichtung zusammengefasst, die durch Erosion oder verarbeitungsspezifische Degradation entstehen können.
Strukturell relevante Schäden haben meist in zu großen Fertigungstoleranzen ihre Ursache oder geben Aufschluss über außergewöhnliche Betriebszustände.
Ein Teil des umfangreichen Bildmaterials, das mit der Präsentation des Vortrags gezeigt wird, handelt von den bekannten Schadensserien, die durch konstruktive oder fertigungstechnische Nachlässigkeiten entstanden sind.
Dabei können auch Schäden durch Außeneinwirkungen, sowie natürlich ein Mix aus den Einzelursachen in manchen Fällen auch zu Totalschäden führen.
4 Herausforderungen der Megawattklasse
Mit dem Überschreiten der magischen Grenze von einem Megawatt Nennleistung hat sich nach Einschätzung des Autors größtenteils die Überzeugung der aufgeklärten Konstrukteure durchgesetzt, dass nicht länger die vorliegende massendynamische und aerodynamische Schwingungsproblematik verniedlicht werden kann und Anlagendesign nicht länger Komponenten-Patchwork bleiben darf. Diese Vorgehensweise, die noch bei den kleinen Anlagen der Kilowattklasse zahlreiche kleine Büros mit einem Mindestbestand an Zulieferkatalogen zu WEA-Herstellern aufsteigen ließ ist endgültig vorbei. Noch heute sind etwa 10 bis 15 % der zeichnungsgleichen Anlagen nicht baugleich – eine Folge dieser wilden Jahre.
Es ist eine glückliche Fügung, dass exakt zu diesem Zeitpunkt die digitale Rechnertechnik mit der zugehörigen leistungsfähigen Software die notwendige Marktreife erlangt hat und hier zum Einsatz kommen kann um die anspruchsvoll gewachsene Designaufgabe mit Finite Element-Methoden, Modalanalysen und die Fertigung mit komplexen Steuer- und Regelprozessoren zu ermöglichen.
Allein die notwendigen multiplen Iterationsschleifen aus Entwurf, Konstruktion, Dimensionierung, Prototypenbau, statische und dynamische Untersuchungen am realen Bauteil können wegen der rasch wachsenden Bauteildimensionen und den damit verbundenen Aufwendungen nicht immer vollständig zum Redesign zurückgeführt werden. So hat in vielen Fällen die Breitenerprobung beim Kunden statt gefunden. Beispiele hierfür sind die Rotorblattserien APX 60 T, LM 26.1, 29.0 und 29.1, die durch sog. Retrofitmaßnahmen im Ringtausch nachgebessert werden müssen während sie bereits beim Kunden im Windpark in Betrieb sind.
Schadensserien kommen in den besten Familien vor. Der Autor dieses Beitrags hat die zweifelhafte Ehre im Jahre 2003 die auffällige erhöhte Blitzschlaganfälligkeit des 39 m Flügels der Vestas V 80 Anlagen auf eine Reihe von konstruktiven Besonderheiten in der Blattspitze zurückführen und anhand einer Serie von Schadensinspektionen nachweisen zu können. Seit Anfang des Jahres 2004 werden daraufhin konstruktive und fertigungstechnische Maßnahmen in die Produktion der Flügelserie weltweit eingeführt. Alleine in Deutschland sind ca. 800 dieser Anlagen also 2400 Rotorblätter in Betrieb deren Blattspitzen unverändert und mit erhöhtem Blitzschlagrisiko drehen. Wenn es auch nicht bei jedem Treffer zu größeren Schäden kommt, so bleiben doch jedes Mal unangenehme Auseinandersetzungen nach der sachverständigen Begutachtung der Schadensursache und der Schadenshöhe in dem Spannungsfeld zwischen Betreiber, Anlagenhersteller und dem Versicherer. Der sachverständige Gutachter, der die technische Realität beschreibt, gerät dabei nicht selten zwischen die Fronten und wird in einem zunehmend verrohenden verkäufermarkttypischen Unfairplay beschädigt. Es sei hier gestattet Carl von Ossietzky zu zitieren, der gesagt hat: „In Deutschland gilt derjenige als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn gemacht hat."
Pfusch beim Bau ist bei einem Großteil der Blattserien NOI 34 und 37,5 zu verzeichnen. Die fast ausschließlich manuell orientierte Fertigung dieser Blattserie, die von einem Zulieferer organisiert wird, ist ungenügend und unqualifiziert beaufsichtigt, eine katastrophale Bauteilqualität ist die Folge. Die durchgängigen Produktionsmängel sind auf Managementdefizite zurückzuführen. Das bei dieser Blattstruktur grundlegende belastungsmechanische Konzept: „zwei-Stege-zwei-Schalen“ ist in den kritischen Bereichen der Steg-Schale-Verklebung weit außerhalb der vorgesehenen Toleranzen ausgeführt. Nicht immer führen solche groben Fertigungstoleranzen zum sofort offensichtlichen Bauteilversagen. Dieses Phänomen wird oft als der „Toilettenpapier-Perforations-Effekt“ bezeichnet, weil erfahrungsgemäß in nicht seltenen Fällen die identifizierte Schwachstelle sich ihrer Sollbrucheigenschaft entzieht. Dennoch ist hier der Anlagenhersteller Nordex in verantwortlicher Haltung vorausgegangen und hat ein generelles Redesign der Blätter auf der Basis einer Schwachstellenanalyse durchgeführt und zu einer serienübergreifenden Reparaturvorschrift entwickelt. Derzeit werden in einer weitgreifenden Rückrufaktion die mangelhaften Blätter vor Ort in den Windparks saniert.
5 Health monitoring Konzepte
Condition monitoring oder health monitoring Systeme für Rotorblätter können die komplexe Überwachungsaufgabe nur dann erfüllen, wenn diese eingebunden sind in ein Konzert von flankierenden Maßnahmen eines proaktiven Design, Inspektions- und Wartungsmanagements.
5.1 Eigenfrequenzbestimmung durch ambulantes Messen der Blattschwingzahl
Manuelles Anregen der Biegeeigenfrequenzen in Schwenk- und Schlagrichtung. Dokumentation der Schwingzahl. Beobachtung möglicher Veränderungen dieser Werte über die Zeit.
5.2 Kontinuierliche Messung der Belastung mittels Sensortechnik
Kontinuierliche Messwerterfassung mittels DMS (z.B. nach IEC TS 61400-13) Das Problem dieser (und auch der vorher genannten) Verfahren ist weniger die Messwerterfassung als vielmehr die zuverlässige Interpretation ggf. veränderter Werte als Funktion von kategorisierbaren Schäden.
5.3 Blade monitoring System (Quelle LM)
Rotorblätter von Windenergieanlagen der Multi-Megawattklasse sind „single-pitch-controlled“, d.h. besitzen eine Einzelblatt-Anstellwinkel-Regelung, die sicher stellt, dass die maximal auftretenden Windlasten nicht die materialspezifisch begrenzten Schnittlasten übersteigen. Die sog. dynamic load balance reagiert also mit Hilfe einer sehr schnellen Pitch-Regelung auf Windböen und auch durch Strömungsabriss induzierte Schwingungen und sorgt im Regelbetrieb für die Vermeidung von kritischen Lastfällen. Zusätzlich detektieren kaskadenförmig angeordnete Lichtfaserbündel an Vorder- und Hinterkante die ggf. auftretenden Risse und durch die Staffelung in verschiedenen Ebenen die Risstiefen als typische Vorzeichen fortschreitender Degradation der Betriebsfestigkeit.
5.4 HMS blade integrity detection concept
Der Vorschlag der HMS Technologie GmbH für ein ganzheitlich detektierendes health monitoring System beruht auf der Messung des staudruckbeaufschlagten Blattkammerinnendrucks. Geht der Überdruck im Blattinneren während des Betriebs verloren, bzw. lässt er sich trotz Anströmung nicht mehr entsprechend aufbauen, dann liegt ein Leck vor, d.h. das Rotorblatt hat mit großer Wahrscheinlichkeit einen nennenswerten Riss, d.h. einen strukturell relevanten Schaden erlitten. Gleichzeitig soll über einen Tiefpass gefiltertes akustisches Signal ausgewertet werden, das zwischen initialen Harzbrüchen und dem fatalen Bruchereignis vorausgehenden vereinzelten Faserbrüchen unterscheiden kann. Dieses System ist nachrüstbar und von vergleichsweise bescheidenem technischem Geräteaufwand.
Dr.Ing. Wolfgang Holstein
mail(at)rotorcare.eu
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