Dienstag, Januar 11, 2011

Wie viel unabhängigen Sachverstand braucht der Windmarkt?

Die Gründergeneration der ökologisch motivierten Anlagenbauer und Windmüller wird durch global agierende Konzerne in den Ruhestand geschickt. Windturbinen heißen heute z.B. Siemens, General Electric, Alstom und Windparks werden von Vattenfall, E-On, Ikea und andern betrieben. Brauchen diese Parteien wirklich noch unabhängigen Sachverstand oder werden nicht fortan Divergenzen in den juristischen Hauptabteilungen der Konzerne gelöst?

Der erste Versuch, die Große Windenergieanlage (GROWIAN) als Multi-Megawatt-Kraftwerk in Betrieb zu nehmen, markiert den Startpunkt der modernen wirtschaftlichen Nutzung der natürlichen Energie-Ressource Wind. Das war am 6. Juli 1983. Der Zweiflügler-Leeläufer wurde entwickelt mit staatlichen Fördergeldern und unter Beteiligung des geballten Wissens deutscher Professoren und der Innovationskraft deutscher Technologiekonzerne.
So alt wie der erste Versuch ist auch der erste große Rückschlag. Nach einer nicht endenden Pannenserie und nicht nur wegen bedenklicher Vorschädigung in den mit Stahlrohrholm, Rippen und GFK-Panelverkleidung gebauten Rotorblättern, wurde GROWIAN 1987 mit einer vierjährigen Gesamtbetriebszeit von 420 Stunden, also nicht mal 3 Wochen wieder endgültig außer Betrieb genommen und demontiert.
GROWIAN II, oder auch WKA-60 genannt, ein 1,2 MW Dreiflügel-Luvläufer (mit 60 m Rotordurchmesser und einer Nabenhöhe von 50 Metern auf Helgoland) aus dem Hause des Technologiekonzerns MAN ist mit einer Serienstückzahl von vier Anlagen eingestellt worden. Die Versicherung war nicht mehr bereit den dritten Rotorblattschaden zu bezahlen. Die Rotorblätter waren überwiegend aus Kohlefaser-verstärktem Kunststoff (CFK) gebaut und außerordentlich Blitzschlag anfällig.[1] Kaum vorstellbar, dass die Objektivierung dieser materialimmanenten Schwäche ohne externe Experten geleistet werden konnte.
Aus diesem Grund erscheint es gerechtfertigt diesen Zeitpunkt, wir schreiben das Jahr 1990, als die Geburtsstunde des unabhängigen Sachverstands im Wind zu benennen. Auch heute bedienen sich Versicherungen externem, unabhängigem Sachverstand für die Entwicklung einer objektiven Schadensanalyse.
Engagierte Ingenieure, innovative Mittelständler und die Werftindustrie nehmen sich von nun an der Serienentwicklung von kleineren Windenergieanlagen an. Über diesen Weg: „von klein angefangen“ ist man bis heute bis zu den bekannten Fabrikaten gelangt, die in ihrer Nennleistung den GROWIAN um mehr als das doppelte übersteigen. In den zurückliegenden 20 Jahren bleibt der Weg bis zur ausgereiften und zuverlässigen Windenergieanlage aber trotzdem steinig. Schäden an Rotorblättern und anderen Bauteilen, wie Getriebe, Umrichter und Steuerungselektronik, ja selbst an Tragstrukturen vom Maschinenhaus bis hin zu Fundamenten bleiben keine Einzelfälle.
Mit der Zertifizierung und der Baugenehmigung einer neuen Anlage ist deren Entwicklungsprozess formal abgeschlossen. Mit der Inbetriebnahme der ersten Anlagetypen in der Serie beginnt die sog. Breitenerprobung. In dieser Phase des Lebenszyklus einer Anlage werden in den ersten Jahren des Betriebs die konstruktions- und fertigungsbedingten Schwachstellen sichtbar. Später, im Idealfall erst nach 20 Betriebsjahren, kommen die Schwächen der Bauteile durch den betriebsbedingten Verschleiß und die Materialermüdung zum Vorschein. Wir wissen also von den meisten Windenergieanlagen noch nicht abschließend, wie die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems über die geplante Lebensdauer von 20 Jahren sein wird, weil die wenigsten Anlagen dieses Alter bisher erreicht haben.
Jetzt kommt der Zweitmarkt.
·         „Repowering“ ist hierfür ein Stichwort. Auf genehmigungsfähigen Flächen werden ältere, kleine Anlagen abgebaut und durch moderne große Exemplare ersetzt.
Zweitmarkt ist auch gegeben, wenn ein Eigentumsübergang stattfindet:
·         Bei Veräußerung „gebrauchter“ Windparks an Investoren und bei der
·         Auflösung von Betreibergemeinschaften (oder Insolvenzen und Refinanzierungen, usw.)
Wer ermittelt den Verkehrswert eines Windparks?
v  Steuerberater geben Auskunft über den Buchwert eines Windparks
v  Betriebsführer wissen die Produktivität bzw. den Ertrag zu beziffern
Aber wer beantwortet die Frage aller Fragen:
*      Wie viel Rücklagen braucht ein Käufer um in den nächsten 5 Jahren nach dem Erwerb des Windparks auch wieder so viel zu erwirtschaften, wie in der Zeit davor?
Es geht also um eine zuverlässige Aussage über den technischen Zustand und die zu erwartende Lebensdauer des Gesamtsystems auf der Grundlage einer sehr fundierten Kenntnis der besonderen Schwächen und Stärken der einzelnen Subsysteme wie Rotorblätter, Getriebe, Umrichter usw.
Ein einzelner Sachverständiger, Generalist für alle Gewerke moderner Megawattanlagen verschiedener Hersteller ist hier womöglich überfordert. Nur das kooperative Netzwerk von auf Einzelkomponenten spezialisierter Experten kann aus der intimen Kenntnis der Netzwerkpartner jeweils auf ihrem eigenen Fachgebiet zu einer belastbaren Prognose der zu erwartenden Instandhaltungskosten der gesamten Anlage und so des Windparks finden.
Unabhängiger Sachverstand, begrenzt auf ein klar umrissenes Spezialgebiet, gebündelt im eng kooperierenden Netzwerk von gleichberechtigten Fachleuten und somit auf höherem Niveau zu einer kompetenten Expertise des Gesamtsystems wieder zusammengefasst und geformt, erscheint in diesem Licht unschlagbar. Große Beratungsunternehmen leiden gelegentlich an suboptimaler Qualität der Beratungsleistung, weil das Wachstum des Unternehmens selbst, in personeller und regionaler Hinsicht für die Qualität der Ergebnisse in der Projektarbeit  nicht immer förderlich ist.
Unabhängiger Sachverstand wird auch in Zukunft gebraucht. Die Erfahrung einzelner Fachleute auf ihrem Gebiet mit einer Sichtweise, die den internationalen Horizont zu berücksichtigen in der Lage ist und nicht an Praktikanten delegiert werden kann bleibt unersetzbar, nach dem Motto:
Der Privatpatient hat Anspruch auf Chef-Experten-Behandlung.
Soviel unabhängigen Sachverstand braucht der Windmarkt immer.



[1] Quelle: http://www.ifb.uni-stuttgart.de/~doerner/windenergie2.html

Keine Kommentare: